Ein Jugendlicher schrieb mir einmal eine Mail (2006).
Es kam zu einem interessanten Gedankenaustausch, der auch ein wenig über mein Leben erzählt.
11 Jahre später (2017) gibt es einen neuen Brief.


Lieber Daniel!

Ich habe schon öfters darüber nachgedacht, ob ich nicht Priester werden sollte. Gott und Kirche sind mir sehr wichtig, aber so vieles scheint dagegen zu sprechen: eigene Frau, Familie, Freunde usw. Was würdest Du mir raten? Liebe Grüße Gregor (16 Jahre)

Lieber Gregor!

Ich habe mich sehr über Deine Email gefreut. Als erstes möchte ich Dir sagen, dass ich all Deine Gründe und Sorgen, die gegen den Weg des Priesters sprechen, sehr gut verstehen kann, und ich finde es sehr gut, dass Du sie so offen ansprichst. Ob man auf eine Frau und Familie verzichten kann und will, sollte man sich tatsächlich ganz genau überlegen. Aber es ist auch so, dass man diese Frage nicht vorschnell, sondern nur im Laufe der Jahre beantworten kann. Ich habe mir jahrelang diese Frage gestellt, ob das geht, und ich das kann und will. Wenn es um den Weg des Priesters geht, muss man sich zunächst bewusst machen, dass es hier nicht zuerst um meine eigene Entscheidung geht, ob ich das will oder nicht, sondern dass es um eine Berufung, nicht um eine Berufswahl geht. Die entscheidenden Fragen lauten: Was will Gott mit mir, welchen Weg will er mit mir gehen? Hierbei ist wichtig zu bedenken, dass Gott letztlich nur ein Ziel hat: Er will mich und die Menschen, mit denen ich zu tun habe, glücklich machen. Der Weg des Priesters ist nicht zuerst ein Weg des Verzichtes, auch wenn das nach Außen vielleicht so aussieht, sondern ein Weg, der mich erfüllen will.

Für mich war immer klar, dass ich z.B. nicht auf meine Freunde verzichten will und das muss ich auch nicht. So verbringe ich jede Woche Zeit mit ihnen und das ist mir auch sehr wichtig. Ohne Freunde, ohne gute Beziehungen zu Menschen, die man liebt und die einen lieben, kann man einen solchen Weg nicht gehen.

Ich sag es Dir ganz offen, ich bin immer wieder auch traurig, das ich keine Ehe führe und so auch keine Kinder habe, aber ich werde vom Herrn doch sehr dafür entschädigt, wenn ich jeden Tag neu erlebe, welch großen und bedeutsamen Auftrag ich in der Gemeinde habe und dass ich ein Mitarbeiter Gottes sein darf. Ich bin nun seit fast 3 Jahren Priester und ich habe es in keinem Augenblick bereut, Priester geworden zu sein, ganz im Gegenteil. Wenn ich jetzt sterben würde, wäre ich sehr glücklich und hätte den Eindruck nichts verloren, sondern sehr viel gewonnen zu haben. Wenn das alles vielleicht sehr blumig klingt, soll das nicht heißen, dass es immer sehr einfach ist, diesen Dienst an Gott und den Menschen zu tun. Bestimmt nicht! Es gibt schon Tage, wo es mir sehr schwer ums Herz ist, an denen ich leide, wenn ich aber dann auf die innere Stimme Gottes in mir höre, diese leise und sehr liebevolle Stimme dessen, der mich wirklich kennt, dann spüre ich allerdings sehr deutlich, dass er mir sagt: „Mein geliebtes Kind ich bin so froh, dass du mein Priester geworden bist." Und genau diese innere Stimme, diese konkrete Beziehung zu Gott ist es, die es mich schaffen lässt, den Weg des Priesters zu gehen und trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb als Priester ein glücklicher und erfüllter Mensch zu sein.

Mein lieber Gregor! Der Weg des Priesters ist nicht zuerst Verzicht, sondern Geschenk, Geschenk für uns selber, aber auch für die Menschen, mit denen wir zu tun haben. Stell Dir vor: Ich spreche mit Menschen über ihr Leben, sie offenbaren mir ihre Fehler und Sünden und „ich“darf sie von ihrer Schuld befreien, weil ER mich dazu ausgesucht und bestimmt hat. Oder Menschen, die krank und verzweifelt sind, ihnen darf ich die Krankensalbung spenden, oder die Kommunion bringen und ihnen damit sagen, dass sie in ihren dunklen Stunden nicht alleine sind. Ich darf mit der Gemeinde die Heilige Messe feiern und den Menschen als Priester sagen, was Gott mit ihnen vor hat, was er von ihnen will und wie sehr er sie liebt  und an ihrem Lebensweg Anteil nimmt. Ich darf Kinder taufen, ihnen von Gott und seinem Reich der Liebe erzählen, sie zur Kommunion führen und ihnen Lebensmut machen. Ich darf mit Jugendlichen über Gott diskutieren und ihnen von meinen Überzeugungen erzählen und spüren, dass sie sich tatsächlich in ihrem Leben auf die Suche nach Gott machen. Ich darf Menschen auf dem Weg zur Ehe begleiten und auch versuchen ihnen zu helfen, wenn es kriselt. Ich darf sogar dann für sie da sein, wenn sie sterben. Und das alles darf ich tun, nicht weil ich toll bin, sondern die Botschaft Jesu, die stärker ist als alles. Weil Gott zuerst und letztlich so großartig ist.

Ich bin mir gewiss, wenn Du immer mehr mit Gott ins Gespräch kommst und auf diese leise Stimme in Dir hörst, wirst du sehr deutlich hören, was er Dir sagt. Eins ist noch wichtig:

Er wird Dich nicht überrumpeln, er wird zusammen mit Dir den Weg suchen, der für Dich der richtige ist, der Weg, der Dich glücklich machen wird, weil er Dich erfüllen, Dein Leben sinnvoll machen wird.---

Du musst die Menschen lieb haben, so wie sie sind und wenn Du selber keine Sehnsucht nach Beziehung, nach Ehe und Familie hättest, dann wärest Du bestimmt auch nicht der Richtige für diesen Weg. Nur in einem Menschen, in dem die Sehnsucht nach Liebe und Beziehung brennt, kann auch der Wunsch immer deutlicher werden, dass er Priester werden will, weil er so zusammen mit Gott und den Menschen versucht den Weg der Liebe zu suchen und zu gehen.

Bei allen Schmerzen, Traurigkeiten und Sehnsüchten, die ich in mir spüre, bin ich ein sehr glücklicher Priester Gottes. So grüße ich Dich ganz herzlich und freue mich darauf von dir zu hören.

Dein

Daniel +  (2006)


Lieber Gregor,

lang, lang ist es her, dass wir uns geschrieben haben. Was hat sich alles in den letzten Jahren getan?

Du bist nun mittlerweile 27 Jahre alt. Auch ich bin 11 Jahre älter geworden und nun bald seit 14 Jahren Priester. Gerade habe ich mir noch einmal unseren Austausch von damals durchgelesen. Seit damals hat sich in der Kirche auch sehr viel getan. Papst Johannes Paul II ist gestorben, Benedikt XVI hat sein Amt nach acht Jahren niedergelegt und seit dem Jahr 2013 haben wir einen sehr beeindruckenden Papst Franziskus.

In der Zwischenzeit habe ich meine Zeit als Kaplan in Kaarst längst beendet, war ein paar Jahre als Jugendseelsorger tätig und wurde 2014 Pastor in Ratingen. Und Du? Was ist aus Dir geworden? Wir haben uns ein wenig aus den Augen verloren. Ich weiß, dass Du in Trier etwas studiert hast, bin mir aber nicht mehr genau sicher, was...? Du bist nicht Priester geworden, leitest in jungen Jahren bereits ein erfolgreiches Unternehmen und hast, wie ich meine, eine tolle Freundin. Ja, es hat sich viel getan in unserem Leben.

Damals hast du mich nach meiner Lebensform gefragt, weil Du selber überlegt hast, Priester zu werden. Eins kann ich direkt sagen: Ich finde es erstaunlich, dass ich immer noch sehr gerne Priester bin und immer wieder darüber staune, dass ich das tatsächlich bin. Das geht mir besonders bei der Feier der Messe und auch in vielen, vielen seelsorglichen Gesprächen immer wieder auf. Die Begeisterung für Gott und die Menschen, die Freude am Evangelium, die genialste Botschaft der Welt hat nichts an Kraft verloren. In mancherlei Hinsicht, sehe ich Dinge heute in einer anderen Farbe. Manches schätze ich auch anders ein als damals, wobei ich glaube, dass ich mir eigentlich recht treu geblieben bin.

In einem bin ich mir sicher: Ich fühle mich nach wie vor sehr von Gott geliebt. Diese Liebe, die Hoffnung und Zuversicht möchte ich auch heute noch an die Menschen weitergeben und mit ihnen das Leben teilen, einen gemeinsamen Weg gehen.

Aber Du darfst auch wissen, dass ich mich in den letzten Jahren zweimal so richtig verliebt habe. Da gab es Menschen, die derart viel in mir ausgelöst haben, so dass ich wirklich spürte, dass ich enorm viel für sie empfand. Das waren sehr bewegte Zeiten. Da sind auch Tränen geflossen.

Schon vor meiner Priesterweihe wusste ich, dass ich mich natürlich immer wieder in meinem Leben verlieben werde. Das war in meinem Leben immer so. Gerade in diesen Momenten spürte ich mich von Gott angenommen und geliebt. Nie hatte ich auch nur ansatzweise den Eindruck, dass er mir sagen würde: "Was fällt dir denn ein? Du bist Priester! Nun reiß Dich zusammen!" Ganz im Gegenteil: Ich fühlte mich verstanden. So als würde er mir sagen: "Ich kann Dich sehr gut verstehen und den Menschen, den Du liebst, den habe ich toll hinbekommen oder?" Oh ja, die Menschen, für die ich so viel empfand, hat er ganz wundervoll hinbekommen... In diesen Momenten habe ich den Eindruck, dass wir zwei, Gott und ich uns anlächeln. Das ist so schön und tut gut...

Auch gab es sehr viele Situationen, da ich junge Menschen, Kinder und Jugendliche angeschaut habe und dachte, dass könnten jetzt auch meine Kinder sein. (Natürlich denkt man das immer nur bei denen, die man sympathisch findet...)

Ja, es gab harte Momente und auch den Gedanken, dass ich gerne partnerschaftlich vergeben wäre. Aber genau so ehrlich sage ich Dir, hatte ich nie einen Zweifel daran, dass ich den richtigen Weg gewählt habe. Es bleibt da die Freude über meine Berufung in meinem Herzen und direkt daneben gibt es eben auch die Wunde, die immer wieder mal schmerzt.

Heute versuche ich meine Lebensform stärker noch als ein Zeichen der Solidarität zu verstehen. Ich lebe in Solidarität mit jenen, die keinen Partner haben, einen Menschen durch Trennung oder Tod verloren haben. Gerade bei trauernden Menschen und jenen, die ebenso wie ich nicht satt werden auf Erden, spüre ich, dass sie genau verstehen, was damit gemeint ist. Wenn ich einen solchen Menschen besucht habe, mit ihm sprach, gehe ich dann nicht nach Hause und lebe dann mein Leben in meiner Familie, sondern bin dann allein und so bleibt die Verbindung in besonderer Weise mit ihm bestehen. Verstehst Du, was ich meine? Gott sei Dank kann ich sagen, dass ich allein, aber nicht einsam lebe.

Viele, viele Menschen durfte ich in den letzten Jahren begleiten. Nicht selten hatte ich Gespräche mit Personen, deren Ehe auf die Kippe stand. Einige konnten sich neu finden, andere sind auseinandergegangen. Ja, sogar manches Brautpaar, welches ich traute, sind nicht mehr zusammen. In einem bin ich mir mehr denn je sicher: Es gibt ihn nicht, den Himmel auf Erden! Aber es gibt ganz tief in mir den Glauben daran, dass Gott alle Wunden heilen kann und heilen wird.

Weiterhin ist es mir sehr wichtig meine Freundschaften zu pflegen. Ohne Freunde und liebevolle Beziehungen zu Menschen, die mich kennen und bei denen ich mich fallen lassen kann, könnte ich nicht leben.

Vielleicht noch ein letzter Gedanke, den ich gleichsam wie ein kleines Gebet zum Himmel sende. Der Weg des Priesters hat mich und mein Leben unfassbar reich gemacht. So kann ich bei allem, was ich immer wieder auch als schwierig und schmerzhaft empfinde, sagen, dass ich ein sehr dankbarer und glücklicher Mensch bin.

Ich wünsche Dir von Herzen, dass Du ähnliches von Dir sagen kannst. Das würde mich sehr freuen und in diesem Sinne bete ich für Dich und sehr viele Menschen.

"Einer trage des anderen Last, so erfüllt ihr das Gebot Christi."

Dieser Satz aus dem 6. Kapitel des Galaterbriefes ist mir in den letzten Jahren immer wichtiger geworden.

Also: Unterstützen wir uns gegenseitig! Helfen wir einander! Machen wir uns Mut und erzählen wir uns, welche Erfahrungen wir auf unserem Weg gemacht und wo wir Gott vielleicht an unserer Seite gespürt haben.

In diesem Sinne sende ich Dir und Deinen Lieben einen ganz herzlichen Gruß

Dein

Daniel +


PS: Hier noch ein kleiner Link zu einem An(ge)dacht, das ich im letzten Jahr einmal für die Zeitung erstellt habe.

Und? Auf welcher Säule ruht dein Leben?